Geschichte der Russlanddeutschen

8 Kulturarchiv

8.2.3 Literarisches

8.2.3.1 BRASILIENLIED

Wolgadeutsche Fassung

1.

Hier in Rußland ist nicht schën, Weil wir missn Soldate geben Und als Ratnik1 missen wir steh(e)n Drum wollen wir aus Rußland geh(e)n.

2.

Kommt Gebrïder, wollen ziehen, Unser Schein ist schon geschrieben, Hin nach dem brasilischen Ort, Weil es gibt kein Wintere dort.

3.

Wås wir håben uns erspårt Kostet uns auf dieser(e) Fahrt; Von Stadt Hamburg bis ans Meer sind uns unsre Säcke leer.

4.

Als wir in das Schiff neinsteichen, Wird uns Gott die Gnad ver(e)leihen, Und wenn wir fahren über das Meer, Schickt er ein Engel vor uns her.


5.

Und wenn wir an das Land ankommen, Werden(e) wir gleich aufgenommen, Wo die schönste Häuser sei(e)n, Gehen wir ja gleich hinein(e).

6.

Ei, da wird man uns nich kränken, Wird uns Bier und Wein einschenken, Schenkt nur ein, so trinken wir, Ei wie gut schmeckt uns das Bier.

7.

Trauben wåchsen hinter Zäune, Hutzeln an den hohen Bäumen, Äpfel, Veichen, die sind rot, Helft uns Gott aus unser(e) Not!


Südrussische Fassung

1.

Kommt, ihr Brüder, wir wollen ziehen Unsre Päß sind schon geschrieben Fort nach dem Brasilischen Ort, Weil es gibt kein Winter dort.

2.

Hier können wir ja nicht mehr leben, Weil wir müssen Soldaten geben, Und als Ratnik müssen wir stehen, Drum wollen wir aus Rußland gehn.

3.

Denn der Kaiser hat's beschlossen, Wollt uns all aus Rußland lassen Denn er hat's uns freigestellt Weil wir ziehen für unser Geld.

4.

Wenn wir nach Hamburg kommen Wird uns unser Geld genommen Als wir kommen an das Meer Sind uns alle Säcke leer.


5.

Wenn wir in das Schiff einsteigen Wollt uns Gott die Gnad verleihen Und wenn wir fahren auf dem Meer, Schickt uns Gott ein Engel her.

6.

Wenn wir auf dem Meere fahren, Woll' uns Gott auch all bewahren O Gott, streck aus deine Hand, Daß wir kommen in das Land.

7.

Wenn wir nach Brasilien kommen Werden wir gleich aufgenommen. Wo die schönen Häuser sein Ziehen wir auch gleich hinein.

8.

Dann wird der Kaiser gleich an uns denken, Wird uns Bier und Wein einschenken. Schenk nur ein – austrinken wir, Ei wie gut schmeckt uns das Bier!


9.

In Amerika ist gut zu leben, Dort wachsen ja auch die Reben Die Trauben wachsen auf den Bäumen, Laßt uns alle fröhlich sein.

10.

Drum wollen wir den Herrn auch danken, Der uns hat in jenen Schranken Und so sicher hat geleit. Und uns unser Herz erfreut.

11.

Drum wollen wir den Herrn auch danken, Der uns hat in jenen Schranken Und so sicher hat geleit. Und uns unser Herz erfreut.


Aus: Gottfried Habenicht, Das Brasilienlied-Monographische Skizze eines russlanddeutschen Auswandererliedes, in: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde, Band 22, Marburg 1979, S. 227-279

Vgl. dazu auch Timothy J. Kloberdanz, Die Auswanderung nach Amerika und ihre Auswirkung auf Identität und Weltanschauung der Wolgadeutschen in Rußland, in: Zwischen Reform und Revolution. Die Deutschen an der Wolga 1860-1917, hrsg. v. Dittmar Dahlmann und Ralph Tuchtenhagen. S. 172-190

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